Georgien

Wir überqueren die Grenze nach Georgien zu Fuß. Eine knappe Stunde Schlange stehen, schon sind wir eingereist. Wir vermuten schon einen Touri-Nepp, weil unser Bus auf der georgischen Seite nirgendwo zu entdecken ist. In Batumi wird uns aber ein Türke erzählen, dass es ihm genauso gegangen ist. Seit dem Putschversuch werden Fahrzeuge an den Grenzen sehr gründlich durchsucht, und die Busse drehen lieber vorher um. Übrigens: Das georgische Grenzgebäude ist ein ziemlicher Hingucker.

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Statt unserem Bus sehen wir Taxis, und endlich Marschrutkas. Nach Batumi für einen Lari. Und für den Preis bekommt man das volle Programm – inflationärer Gebrauch der Hupe und riskante Überholmanöver gehören dazu, die Anzahl der Fahrstreifen ist an den meisten Stellen verhandelbar. Und schon werden wir mitten in Batumi rausgeschmissen. Zeit für ein bisschen Geschichte.


Georgien ist etwa so groß wie Bayern. Während Bayern aber hauptsächlich Bier und Kühe zu bieten hat, kriegt man in Georgien die Küste des schwarzen Meeres ebenso wie die kaukasischen Berge mit einigen Fünftausendern, eine tolle Architektur und Bier und Kühe noch obendrauf. In your face, Bayern.

Es gab früher mal ein goldenes Zeitalter Georgiens. David der Erbauer hat im 12. Jahrhundert ein Königreich regiert, das vom schwarzen bis zum kaspischen Meer reichte. Die Russen waren damals noch ein Haufen zerstrittener Fürstentümer, und der Moskauer Kreml bestand aus Holz und war die meiste Zeit damit beschäftigt, in lodernden Flammen zu verbrennen. Georgien war damals eine Nummer – Russland war nicht mal ansatzweise satisfaktionsfähig.

Dann kamen aber die Mongolen, die erst Russland und anschließend Georgien unterwarfen. Der erste russische Zar, Iwan der Große, schmiss im 14. Jahrhundert die Mongolen raus und machte Russland in der Folge zu einem richtigen Land. In Georgien lief es nicht ganz so gut – es wurde auch von den Mongolen erobert, als die sich aber zurückzogen, bröckelte es etwas auseinander und die Perser und Osmanen gewannen an Einfluss.

Vor gut 200 Jahren fingen die Russen dann an, Begehrlichkeiten für Georgien zu entwickeln, sodass das Land eine Zeit lang zum russischen Kaiserreich gehörte. Als man sich 1918 für unabhängig erklärte, ging das eine Weile gut – knapp drei Jahre später stand leider die Rote Armee vor der Tür. Die muss nach drei Jahren Weltkrieg und drei weiteren Jahren Bürgerkrieg ein ganz erbärmliches Bild abgegeben haben; am Ende gelang es der kommunistischen Hooliganbande aber dennoch, Armenien, Aserbaidschan und Georgien in die UdSSR einzugliedern. Was folgte, waren 70 Jahre planwirtschaftlicher Unsinn.

Seit 1991 besteht Georgien so, wie es heute da steht. Und hat weiter Ärger mit Russland, das Abchasien und Südossetien als eigene Staaten anerkennt und damit nicht ganz den georgischen Humor trifft. Ich frage mich, wie die Weltkarte wohl aussehen würde, wenn Georgien vor 800 Jahren einfach mal in Moskau eingefallen wäre.


Eine Menge Geschichte hat es jedenfalls, dieses kleine Land. Und Batumi, das ist so ein bisschen das Badeparadies, mit einer schicken Promenade und vielen Bars direkt am schwarzen Meer – Batumi weiß das und feiert sich nachts ganz ordentlich.

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Und überhaupt: Georgien. Hier gibt es allerhand leckeres Essen, das uns die kommenden Tage begleiten wird: Khachapuri, ein Weißbrot mit Käse drin und drauf, Badridschani, das sind frittierte Auberginenscheiben mit Walnusspaste, und Khinkali, Teigtaschen mit durchweg köstlichen Füllungen. Marschrutka, die uns für kleines Geld von A nach B bringen – und klein, das sind die Larischeine tatsächlich – und dabei ziemlich schnell und unterhaltsam sind. Und nette Einheimische, die zwar zunächst etwas verschlossen scheinen, dann aber alle Zeit der Welt haben, wenn man mal im Gespräch ist.

Im Hostel treffen wir David, einen Georgier. Er erzählt uns, dass die Georgier zwar ohne Unterlass trinken und rauchen, aber trotzdem ihre 80 Jahre alt werden. Das liegt nämlich an dem guten, frischen Essen von hier. David radebricht eine Mischung aus russisch und englisch, unterstützt durch Hände und Füße. Wir verstehen uns bestens.

Nach unserem Ritt durch die Türkei sind wir ganz zufrieden damit, einfach mal regungslos in der Hitze rumzuhängen und endlich mal Wäsche zu waschen. Und so fällt der Sightseeing-Anteil heute etwas spärlicher aus.

Am nächsten Tag nehmen wir den Zug von Batumi nach Tiflis und staunen nicht schlecht: Die Waggons sind brandneu, sauber, und begeistern mit fünf Sitzplätzen pro Reihe. Nach fünf Stunden Fahrt, um halb zwei Uhr Mittags, erreichen wir die Hauptstadt.

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Die Stadt ist größer als gedacht, und der Bahnhof liegt nicht direkt mittendrin. An dieser Stelle wäre ein bisschen Wissen zur Metro sehr hilfreich gewesen: Der Station Square, wie die Station am Bahnhof heißt, liegt drei Stationen vom Liberty Square entfernt (dort sind viele Hostels angesiedelt, so auch unseres). Drei Stationen in die andere Richtung liegt Didube, dort fahren die Marschrutka in alle Richtungen ab. Und eine Fahrt kostet einen halben Lari, man muss sich nur vorher eine Metrokarte kaufen und kann diese dann aufladen.

All das wissen wir noch nicht und gönnen uns ein Taxi. Ankommen, frisch machen, Tiflis anschauen. Unübersehbar auf dem Hügel steht Kartlis Deda, die Mutter Georgiens. Sie wurde 1958 zum 1500. Geburtstag der Stadt aufgestellt. In der linken Hand hält sie eine Schale mit Wein für die Freunde, in der rechten ein Schwert für die Feinde. Leg dich nicht mit Mutti an.

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Ebenfalls unübersehbar steht mitten in Tiflis die Dreifaltigkeits-Kathedrale, die 2004 fertig gestellt wurde und damit recht neu in der Stadt ist. Ich werde später alleine hier hoch kommen, als zufällig eine Messe stattfindet, und ziehe vor dem beeindruckenden Bauwerk unwillkürlich den Bauch ein.

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Abends treffen wir Mirjam und Marcel wieder, essen, trinken, quatschen. Und besuchen am nächsten Tag Stepanzminda, ein Örtchen im Kaukasus, das für seine einsam auf einem Berg stehende Kirche bekannt ist – diese ist übrigens auch der Dreifaltigkeit gewidmet. In der Nähe steht der Kazbeg, der höchste Berg Georgiens. Wenn man sich den steinigen Weg nach oben arbeitet, oder sich alternativ von einem der vielen Taxis chauffieren lässt, wird man zudem von einem kolossalen Ausblick belohnt.

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Die Fahrt hierher führt über die georgische Heerstraße, die früher die wichtigste Verbindung Russlands nach Süden war. Ein sehr geschätztes Transportgut lässt sich anhand des Namens herleiten: Soldaten.

Von Tiflis braucht die Marschrutka übrigens drei Stunden für eine Strecke. Mit Metrofahrt nach Didube, Sightseeing, Essen und Rückfahrt sind wir nach knapp zwölf Stunden wieder zurück – gerade zur rechten Essenszeit. Am frühen Morgen fliegen die anderen drei wieder nach Hause, ich ziehe ab jetzt alleine weiter. Samstags besuche ich Gori, und wieder ist es Zeit für etwas Historie.


Gori ist der Geburtsort von Josef Stalin. Josef, den Namen Stalin (der stählerne) hat er sich selbst gegeben, war von 1927 bis 1953 der Chef der Sowjetunion. Man rechnet ihm positiv an, dass er sein Land industrialisiert hat und bei der Beendigung des zweiten Weltkriegs eine konstruktive Rolle gespielt hat. Gleichzeitig hatte er viele Gegner.

Sein Vorgänger, Wladimir Lenin, hatte gegenüber der Partei offen Bedenken geäußert, dass Stalin vielleicht nicht der beste Chef des Ladens sein könnte, bevor er an einem Schlaganfall starb. Einer seiner Nachfolger, Nikita Chruschtschow, schlug der Partei 1956 in einer geheimen Rede die Entstalinisierung der Sowjetunion vor. Stalin war offenbar selbst den eigenen Leuten zu abgedreht – die Sowjets waren eine Katastrophe, aber Stalin muss eine echte Flurplage gewesen sein.

Zu seinem Repertoire zählten diverse Säuberungen, speziell die Entkulakisierung, und das mehr oder minder gleichgültige Hinnehmen von Hungersnöten aufgrund der Industrialisierung – die bekannteste ist wohl der Holodomor in der Ukraine. Die sowjetischen Arbeitslager, die Gulags, hatten ihre große Zeit unter Stalin.

Zwei alte Bekannte hatten übrigens ihre ganz eigene Einstellung zu Stalin: Tito, den wir noch aus Jugoslawien kennen, hatte ab 1948 Stress mit ihm – dabei ging es aber eher um wirtschaftliche Themen. Enver Hoxha hingegen, unser Freund aus Albanien, hatte Probleme mit Tito und stand Stalin deshalb sehr positiv gegenüber. Die spätere Entstalinisierung missfiel Hoxha so sehr, dass er sich von der Sowjetunion abwandte und ein Fan von China wurde. Alle drei hatten mit der Verfolgung und Unterdrückung ihrer eigenen Landsleute aber offenbar keine Probleme.


So stehe ich denn in Gori. Das Museum, das man Stalin hier errichtet hat, hat seine Pforten schon geschlossen – es ist schon halb fünf, ich bin spät dran. Soweit ich in Erfahrung bringen kann, werden Stalins Verdienste in diesem Museum deutlich positiver dargestellt als von mir. Vor dem Museum: Ein Park, eine Stalinstatue und ein Eisenbahnwaggon. Am besten gefallen mir die Arkaden im Eingangsbereich des Museums.

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Und noch etwas darf man in Gori nicht verpassen: Die Höhlenstadt Uplistsiche, die etwa zehn Minuten mit dem Taxi entfernt liegt. Hier sind mehrere Höhlen in den Stein gehauen, ein Tunnelsystem sorgte früher dafür, dass man nicht mal zum Wasser holen vor die Tür musste. Uplistsiche war früher ein wichtiger Stop auf der Seidenstraße und galt lange als uneinnehmbar – bis die Mongolen die Stadt dann einnahmen.

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Am folgenden Abend geht es weiter nach Armenien. Die Fahrkarte habe ich schon einen Tag vorher für 52 Lari am Bahnhof gekauft. Umgerechnet etwa 20 Euro für einen Platz im Schlafwagen bis Jerewan, das ist wirklich fair. Und noch dazu hat man Gelegenheit, in diesen wirklich schicken armenischen Zügen mitzufahren.

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Die Zugbegleiterin ist entgegen einiger Berichte im Internet in meinem Fall wirklich nett; sie findet es anscheinend lustig, dass ich kein Wort verstehe. Ich teile das Abteil mit einer armenischen Familie, es gibt Bier und Salzstangen zu Abend. Der Grenzübergang kommt gegen ein Uhr in der Nacht und dauert eine gute Stunde.

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