Ruinenporno

Manchmal kommt man als Tourist an Orten vorbei, denen es offensichtlich schon mal besser ging. Oder an denen etwas Unerfreuliches passiert ist. Orte, die nicht wirklich für den bierdürstenden und strandhungrigen Touristen gemacht wurden. Die Orte, die vielleicht auch die Einheimischen nicht gerne herzeigen. Oder die in Gedenkstätten verwandelt wurden, nach dem Motto „Kommt her und schaut, aber fühlt euch gefälligst unwohl dabei.“

Zu diesem Thema gibt es eine nützliche Webseite, die einiges zu dem Thema zu erklären weiß. Dark Tourism ist eine gängige Bezeichnung für diese Art Sehenswürdigkeiten, oder manchmal etwas platter einfach Ruin Porn – Ruinenporno. Zwei Pornos und ihre Geschichte.

Der Schiffsfriedhof von Muynaq

Muynaq war mal eine prosperierende Hafenstadt am Aralsee. Da die Sowjets seit den Sechzigern in Zentralasien Baumwolle herstellen wollten, wurden die beiden wichtigsten Zuflüsse des Aral, der Amudarja und Surdarja, angezapft. Das Wasser wurde für die Baumwollfelder benötigt, denn Baumwolle ist ein durstiges Gewächs. Dem Aralsee ist das nicht gut bekommen, er besteht heute zu großen Teilen aus Salzwüste.

Nebenbei haben die Sowjets auf einer Insel im Aralsee Atomtests gemacht. Denn auf Inseln besteht nicht die Gefahr, dass Landtiere irgendwelche kontaminierten Partikel in alle Himmelsrichtungen verteilen. Heute ist die Insel keine Insel mehr und der Wind pustet Sand, Salz und mutmaßlich verstrahlte Inselreste durch die Gegend. Ups.

Aber dafür haben sie ja die Baumwolle bekommen, die sieht man überall in Usbekistan und sie schaut so aus:

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Muynaq wird in Reiseführern denn auch gern mal als Geisterstadt beschrieben, ein trauriger Rest der einstigen Fischereizentrale Usbekistans. Die wenigen Leute, die geblieben sind, kriegen komische Krankheiten und eigentlich wollen die meisten nur weg. Ich kann beruhigen: So schlimm ist es nicht. Von Nukus aus fährt sogar ein Bus.

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Ich bin übrigens morgens um acht von Khiva aus aufgebrochen. Zuerst ging es mit einem Taxi nach Urgench, dann mit einem Shared Taxi nach Nukus und dann mit ein Taxi hin und zurück. Der Bus sollte erst um ein Uhr losfahren und war schon voll, als ich um viertel vor zwölf ankam. Also habe ich mich spontan für ein Taxi entschieden.

Insgesamt hat mich der Tagestrip 300.000 Som, oder rund 45 Dollar, gekostet. Der Schiffsfriedhof selbst kostet keinen Eintritt. Abends zurück in Khiva, zieht der Hotelier die Augenbrauen hoch – eigentlich sollte man mit 500.000 Som rechnen, wenn man das Taxi nimmt. Ich hab aber auch überall gehandelt wie Bolle.

Etwa zwölf Schiffe liegen hier so in der Wüste und rosten vor sich hin. Auf dem Titelfoto ist eins. Hier ist noch eins.

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Viele Berichte erwecken den Eindruck, dass die hier einfach so liegen gelassen wurden – das ist aber nicht ganz richtig. Sie sind mit etwas Abstand zum ehemaligen Seeufer schön ordentlich aufgereiht. Oben gibt es einen Parkplatz, mehrere Tafeln, die dem Besucher die Geschichte des Ortes erklären und ein recht abstrakt gehaltenes Denkmal.

Im Ort gibt es auch ein Museum und ein Hotel, und Leute, die eigentlich ganz zufrieden ausschauen. So richtig düster ist es hier also nicht. Allerdings gibt es auch sonst nicht viel, deshalb bin ich schon ganz froh wieder ins Taxi zu steigen und zurück zu fahren.

Der Gaskrater von Derweze

Eine kurze Rückblende nach Mickymausland. In Turkmenistan waren die Sowjets ja bekanntlich auch. Was sie dort gemacht haben, hatte aber nichts mit Baumwolle zu tun: Sie suchten nach Öl. Die Geschichte vom Gaskrater geht etwa folgendermaßen.

Anfang der Siebziger Jahre kam ein Trupp mit lauter schlauen Kommunisten und Bohrgerät, um in der turkmenischen Wüste nach Erdöl zu bohren. Dabei stieß man auf – Erdgas. Die Sache explodierte und hinterließ einen gewaltigen Krater. Nach zwei weiteren Versuchen, die ähnlich endeten, gab man dann auf. Es gab nur ein kleines Problemchen: Aus dem einen, dem größten Krater, strömte noch Gas aus. Man entschied sich dafür, das Gas abzufackeln, denn verbrannt ist Gas in der Atmosphäre deutlich weniger ärgerlich als im Urzustand. Die Erwartung der Beteiligten war, dass das Gas nach zwei Wochen oder so komplett verbrannt sein würde. Das war falsch.

Knapp fünfzig Jahre später brennt der Krater noch immer, und ist damit eine Art Touristenattraktion. Die anderen beiden Krater stehen daneben und beneiden ihren berühmten Kollegen den ganzen Tag über. Die Einwohner des nahe gelegenen Örtchens Derweze nennen ihn ganz charmant „Das Tor zur Hölle“. Seine Kollegen haben keine eigenen Kosenamen bekommen.

Ich persönlich würde hier ja eine Frittenbude aufmachen, darauf ist aber bisher anscheinend noch niemand gekommen. Statt dessen kam der Präsident bereits 2010 hierher und verkündete, dass man dem feurigen Treiben demnächst ein Ende bereiten wolle.

Das ist gut so, denn komisch ist es ja schon. Da ist ein feuerspeiender Höllenschlund mitten in Turkmenistan. Die meisten Länder dieser Welt, so tolerant sie auch sein mögen, haben eine strikte Anti-Höllenschlund-Politik, die mit eiserner Hand umgesetzt wird. Es ist wie bei einem Wettlauf: Während alle anderen Länder früher oder später erschöpft und glücklich an der Null-Höllenschlunde-auf-Staatsgebiet-Ziellinie angekommen sind und sich freudestrahlend in den Armen liegen, legt Turkmenistan an der Nur-noch-ein-Höllenschlund-auf-Staatsgebiet-Marke eine kleine Pause ein und kann den ganzen Trubel der Anderen nicht verstehen. Seit knapp fünfzig Jahren.

Unterdessen wird ein Fakt anscheinend totgeschwiegen: Irgendein armer Sowjet musste ja nach dem Desaster nach Hause zu Chruschtschow laufen und ihm erklären, dass es kein Erdöl gibt. Und dass sein Bohrgerät unter mysteriösen Umständen verschwunden ist. Hat daran mal jemand gedacht? Held der Arbeit wird man mit so einer Aktion bestimmt nicht. Da es aber anscheinend keine offiziellen Aufzeichnungen darüber gibt, bleibt nur das Dorfgeschwätz von Derweze, um die Geschichte des Kraters zu verstehen.


Ich war übrigens nicht selbst am Höllenschlund, und das hat einen einfachen Grund. Vorab habe ich einige Preise eingeholt, was eine Übernachtung inklusive Zelt neben dem Krater kosten würde. Das günstigste Angebot lag mit 500 Dollar ab Ashgabat für meinen Geschmack doch noch etwas zu hoch, also dachte ich, dass ich besser vor Ort ein Angebot einhole.

In Ashgabat finde ich dann kein Ernst zu nehmendes Reisebüro. Man kann mit dem Bus rausfahren und dann hoffen, dass man einen Jeep findet, der einen die zehn Kilometer von der Straße bis zum Krater mitnimmt. Dann muss man aber Zelt und alles Übrige selbst mitbringen und am nächsten Morgen hoffen, dass man wieder einen Jeep zurück findet. An einem Ort, wo nicht wirklich eine offizielle Straße entlang führt. Abgeschreckt vom schlechten Leumund des Ortes und der Tatsache, dass ich kein Zelt mithabe, lasse ich den Besuch dann lieber bleiben.

2 Gedanken zu „Ruinenporno“

  1. Oh nein!
    Der gute Höllenschlund.
    Schade drum, dann musst du wohl nochmal hin 🙂 ich stelle ein Zelt ⛺

    1. Hallo Janis,
      ist nur schade, dass dort alles relativ teuer ist. Ach ja, und mit meinem Transitvisum hatte ich auch gar keine Berechtigung dazu, zum Höllenschlund zu fahren (nicht dass das regelmäßig kontrolliert würde).
      Es ist also alles sehr kompliziert. Aber danke für das Angebot mit dem Zelt – meine nächste touristische Reise nach Turkmenistan wird den Höllenschlund auf jeden Fall beinhalten!
      Gruß vom Timo

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